Marktplatz Reutlingen

Testentwurfsverfahren 2008
Veranstalter: Stadt Reutlingen

ANALYSE
Stadtraum > Baukörper > Fassade

Die kleinteilige mittelalterliche Stadtstruktur Reutlingens ist sehr gut erhalten und zu jeder Zeit im Stadtraum spürbar. Sie wird geprägt von der Wilhelmstrasse, welche durch ihren gekrümmten Verlauf und die intakte geschlossene Bebauung einen spannenden Strassenraum ausbildet.
Im Bereich öffentlicher Gebäude weitet sich die Wilhelmstrasse auf und formuliert so Plätze aus. Insbesondere der Marktplatz als zentraler und historischer Hauptplatz beeindruckt durch seine Grösse, zeigt jedoch heute ein uneinheitliches Stadtbild.
Um Aussagen über die Gestalt des Platzes machen zu können, ist es nötig den städtischen Raum zu untersuchen, um so über die ihn bestimmenden Baukörper die Fassaden zu entwickeln. Schon im Stadtplan wird offensichtlich, dass gerade im Bereich des Marktplatzes die Struktur durch den Bau des modernen Rathausensembles empfindlich gestört ist.

Raumkontinuum
Der Entwurf des Rathauses ist im Sinne der klassischen Moderne als „schwebender“ Solitär konzipiert, unter dem der öffentliche Raum hindurchfließt. Dem Marktplatz fehlt so allerdings eine wichtige Platzwand, die ihn fasst. Der öffentliche Raum unterhalb des Gebäudes hat sich als schwer nutzbar und von geringer Aufenthaltsqualität erwiesen.

Schwerpunkte
Insbesondere auch durch die versteckte und dezentrale Lage des Eingangs ins Rathaus im Durchgang werden auf dem Platz zwei Schwerpunkte geschaffen, die nur schwer zu vereinbaren sind:
Einen belebten Teil im Bereich des Brunnens an der Wilhelmstrasse und einen Vorplatz vor dem Rathaus. Durch die Lage des Kiosks, der auch den Zugang zur Katharinenstrasse verstellt, wird dies verstärkt.

Hinterhof
Durch den Einbau des Erdgeschosses unter die Ratssäle wird der ohnehin schon vernachlässigte Aussenraum hinter dem Rathaus endgültig abgehängt. Es ist eine Hinterhofsituation entstanden. Der Freiraum hat nicht die Qualität eines städtischen Raums, sondern eher die eines Lichthofs eines Verwaltungsbaus an der Peripherie.
Der Bebauung der Rathausstraße fehlt das Gegenüber.

GOLDENER OCHSE
Alle Gebäude weisen deutliche Bezüge zu Reutlinger Typologien auf, welche zeitgemäß interpretiert werden. Sie sollen steinern und streng sein, um den urbanen Raum zu fassen, mit Lochfassaden und stabilen Sockelgeschossen, möglichst aus Naturstein, die sich dann auch großzügig öffnen können.
Bereits auf alten Stadtaufnahmen weist die nördliche Platzwand des Marktplatzes mit dem Hotel „Zum Goldenen Ochsen“ eine beachtliche Höhe auf. Das Gebäude der Kreissparkasse soll sich nun auch über teilweise fünf Geschosse in die Höhe entwickeln.
Wie auch schon der Goldene Ochse zeigt die Fassade die klassische Dreiteilung (Sockel, Mittelzone, Dachgeschoss) mit geradem Abschluss.
Die Fassade ist leicht geknickt und leitet so in die Katharinenstrasse ein hin zum Tübinger Tor und der neuen Stadthalle.

DOPPELGIEBEL
Elementare Bedeutung kommt bei der Neugestaltung des Marktplatzes dem Kopfgebäude zwischen Rathaus- und Katharinenstrasse zu, welches dem Spital als Gegenüber dient und den Platz nun in zwei Bereiche teilt, den eigentlichen Marktplatz und den quer dazu liegenden kleineren Rathausplatz.
Der Baukörper zeigt dem Marktplatz die Stirn ist ist somit giebelständig.
Der Doppelgiebel, den es an dieser Stelle bereits einmal gegeben hatte, gliedert das Volumen und markiert zusätzlich auch den Eingang zur Katharinenstrasse und somit zum Tübinger Tor.
Das Gebäude fügt sich in die Dachlandschaft der Reutlinger Altstadt ein.
In der Ausführung muss das Gebäude von sehr hoher architektonischer Qualität sein, da es den Marktplatz in besonderem Maße prägen wird.

RATHAUSGARTEN
Um den Martplatz nach Süden zum Rathaus hin wieder zu fassen, wird das Erdgeschoss des Ratsgebäudes als Platzwand vollständig ausgebaut. Das Erdgeschoss kann neben der Gastronomie nun auch ein grosszügiges Foyer mit Bürger-Center aufnehmen, der Zugang erfolgt direkt vom Platz aus.
Auch zur Rathausstrasse hin wird der Innenhof geschlossen und erhält so einen neuen, abgeschlossenen Charakter ähnlich dem des benachbarten Klosterhofs.
Am Tage steht der neue Rathausgarten auch den Reutlinger Bürgern zur Verfügung, nachts bleibt er verschlossen.
Den Abschluss zur Rathausstrasse bildet ähnlich einer Pergola eine Diaphane Wand mit einem Vordach zum Garten hin. Die Bebauung der Rathausstrasse erhält ein Gegenüber, der Strassenraum wird wieder hergestellt. Trotzdem bleibt ein optischer und akustischer Bezug zum Garten erhalten.
In ihrer Gestaltung nimmt das Bauwerk mit Beton-Fertigteilen deutliche Bezüge zur denkmalgeschützten Architektur des Ratsgebäudes her.

HOHES HAUS
Ausgehend vom alten Stadtgrundriss wird der Standort des alten Rathauses an der Wilhelmstrasse wieder mit einem Gebäude als Gegenüber zum neuen Rathaus besetzt. Dieses hat eine offene EG-Zone und ist formal angelehnt an das alte „Hohe Haus“ mit einem spitzen Satteldach.
Durch die kleinere Grundfläche verändern sich die Platzproportionen. Die Wilhelmstrasse öffnet sich nicht mehr vollständig zum Marktplatz, sondern wird in diesen umgelenkt.
Es entsteht ein Raumfolge mit einem diagonal angelegten Platz, die Richtung vom Brunnen zur Kanzleistrasse /dem Rathaus wird gestärkt.
Der Baukörper wird leicht eingedreht und belässt so dem barocken Eckgebäude der Kachelschen Apotheke seine städtebauliche Wirkung.


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